Münchens Sterneküchen sind genauso bunt wie die Viertel selbst. Wir treffen die Spitzenköch*innen dort, wo sie selbst gern Mittag machen. Unsere Autorin besucht Joshua Leise im Mural Restaurant und geht mit ihn zum Viktualienmarkt.
Joshua Leise und ich verabreden uns an einem sonnigen Mittwoch zum Mittagessen auf dem Viktualienmarkt. Schon bei meiner Recherche bin ich erstaunt über sein Alter. Joshua ist gerade einmal 27, mit 23 wurde er Küchenchef im Mural Restaurant, zwei Jahre später erkochte er sich mit seinem gleichaltrigen Kollegen und Freund Johannes Maria Kneip den ersten Stern. Die beiden lernten sich auf Sylt in der Ausbildung kennen, danach folgte die Doppelspitze im Mural. Seit 2021 arbeitet Kneip in einem anderen Sternelokal in München und Joshua Leise macht den Job im Mural alleine.
Vor mir steht ein blonder, junger Mann, der im ersten Moment fast ein bisschen schüchtern wirkt. Im Gespräch aber wird schnell klar: Joshua redet gerne und viel, wenn ihn denn das Thema interessiert – und das dreht sich im besten Fall um gutes Essen, die Wertschätzung von Lebensmitteln, tolle Weine oder die Lieblingsrestaurants in München und der ganzen Welt. Aber zuerst einmal stehen wir am Stand von Caspar Plautz an und studieren die Karte: Hier gibt es Kartoffeln in allen Formen, Farben und Kombinationen – wie mit Kimchi-Sauerrahm-Mirin-Creme, Gurkenschalen-Senföl-Dressing, sauer eingelegter gelber Rübe, Sesam, Frühlingszwiebeln, Blaubeeren und Dillblüten.
Caspar Plautz eröffnete 2017 mit einem ähnlich jungen Team wie das Mural Restaurant. Der Kartoffelstand revolutionierte damals den Viktualienmarkt, denn plötzlich traf man immer mehr junge Leute auf Münchens 200 Jahre altem Markt. Seitdem sind mehr junge Standlbetreiber*innen nachgezogen wie Lea Zapf mit ihrer Patisserie, der Kiosk vom Independent Verlag Sorry Press oder der Obst- und Gemüsestand Resi am Markt. Caspar Plautz behauptet sich mittlerweile seit über fünf Jahren, die Schlange ist immer lang, die Kartoffel der Woche heißbegehrt. Auch wir erwischen leider kein Tagesgericht mehr, aber die Standardkarte bietet ebenso tolle Kombinationen. Joshua kann mir Empfehlungen geben, er isst öfter hier.
Und das obwohl er weder Frühstücks-Fan noch ein großer Mittagesser ist. Gegessen wird eigentlich nur beim Personalessen im Restaurant, sobald alles für den Abend vorbereitet ist. Aber manchmal, wenn Joshua von seiner Wohnung in Haidhausen ins Mural in die Altstadt fährt und noch ein paar Erledigungen fürs Restaurant machen muss, kommt er bei Caspar Plautz vorbei oder trinkt einen Espresso bei der Kaffeerösterei Viktualienmarkt. „Unser Pilze und Beere beziehen wir vom Zollner. Und da das Mural nur mit kleinen Lieferanten zusammenarbeitet, kommt es vor, dass ein Bund Kerbel durchrutscht oder der Bauer nicht genug ernten konnte – dann hole ich noch etwas auf dem Viktualienmarkt.“
Die Nähe zum Markt und damit zu regionalen Produkten spiegelt die Handschrift vom Mural wider, denn das Sternerestaurant arbeitet ausschließlich mit Lieferbetrieben aus der Umgebung zusammen. Mittlerweile sind es über 30, die Produkte wie bayerische Gurken oder Garnelen aus dem Erdinger Moos liefern – und das ist nicht nur arbeitsintensiv, sondern manchmal auch eine organisatorische Meisterleistung. Das Menü im Mural wechselt alle sechs bis acht Wochen – die saisonale Ernte bestimmt, was auf den Teller kommt. Manchmal entsteht ein Gericht für den Juni schon im Januar, manchmal bekommt Joshua nur zwei Wochen vorher einen Anruf: Der Bauer hätte jetzt gerade kiloweise frische Erbsen, dann heißt es kreativ werden.
„Da das Mural nur mit kleinen Lieferanten zusammenarbeitet, kommt es vor, dass ein Bund Kerbel durchrutscht oder der Bauer nicht genug ernten konnte – dann hole ich noch etwas auf dem Viktualienmarkt.“
Gleichzeitig zeigen das Mural und der benachbarte Viktualienmarkt auch die Gegensätze der Münchner Altstadt: Auf der einen Seite das Alteingesessene, das gemütlich-bayerische und das Wohlbekannte, auf der anderen das Neue, Urbane, Alternative und ein bisschen Versteckte. Das Mural Restaurant befindet sich im Street-Art-Museum MUCA in einer kleinen Seitenstraße im Hackenviertel. Ein wahnsinnig cooler, bunter und besonderer Ort, den aber selbst manche Einheimische nicht kennen. Joshua Leise schätzt genau diesen Gegensatz, den man in der historischen Altstadt nicht erwarten würde. Wir schwingen uns auf unsere Fahrräder und radeln rüber in's Restaurant.
Im Lokal angekommen, werden die Aufgaben verteilt – es gibt vier Postenchefs im Mural. So kümmert sich der Saucier täglich um die Soßen und längerfristige Projekte wie das Einwecken und die Fleischreifung. Da im Winter die Auswahl an frischem Gemüse und Obst begrenzt ist, wird im Sommer viel vorbereitet. So kamen gestern drei Kisten dünne Paprika, die das Team eingelegt hat. Jetzt lagern sie in einem der Kühlhäuser im Hinterhof, denn die Küche ist klein. Eigentlich war das Mural nur als Museumscafé gedacht.
Die meisten Soßen bereitet das Team ebenfalls vor, sie kochen tagelang ein, um dann jeden Tag frisch abgeschmeckt und verfeinert zu werden. Die Patisserie macht Eiscreme, Gebäck oder Kekse, der Entremétier putzt und blanchiert das Gemüse und der Gardemanger ist für die kalte Küche zuständig: Kräuter, Marinaden, Mayonnaisen. Und Joshua hilft bei allem, wo er gerade gebraucht wird.
„Man erkennt schnell, ob jemand mit dem Herzen dabei ist. Auf dem Teller muss nicht alles handwerklich perfekt sein, aber man sollte spüren, ob etwas mit Liebe gekocht ist.“
Im aktuellen Menü sind seine Lieblingsgänge der Kalbskopf und das Kalbsherz, denn an diesen Gerichten lässt sich die Philosophie vom Mural gut ablesen. Zu einem Gang wird außerdem ein Tartelette mit Kalbstatar gereicht, um möglichst viel von dem Tier zu verarbeiten. In der Sternegastronomie muss es nicht immer um Luxusprodukte gehen, im Mural spielen eher Regionalität und Nachhaltigkeit, aber auch Tradition eine Rolle. Denn Innereien wie Kopf und Herz sind eigentlich typische Münchner Hausmannskost, hier gibt es sie neu interpretiert und mit viel Gemüse – so wird aus dem Kalbsherz, hauchdünn aufgeschnitten auf Tomaten und Chicorée serviert, ein frischer Gang.
Schon als Kind hat Joshua seiner Oma im Garten geholfen, immer gerne gegessen, gekocht und mit 15 sein erstes Praktikum in einer Profiküche gemacht. Obwohl es zuhause damit keine Berührungspunkte gab, war für ihn von Anfang an klar, dass er in die gehobene Gastronomie wollte. Deshalb die Bewerbung im Fünf-Sterne-Hotel Söl'ring Hof auf Sylt, er hatte sich genau dieses Konzept herausgesucht – ein kleines Hotel mit Fine Dining. Nach seiner Ausbildung arbeitete er im Zwei-Sterne-Lokal Atelier im Bayerischen Hof, dann kam das Angebot im Streetart-Museum: „Klassische Gourmet-Restaurants mit weißen Tischdecken in luxuriöser Atmosphäre gibt es viele, das Mural ist dagegen ziemlich einzigartig.“
Nicht nur die besondere Atmosphäre, auch das regionale Konzept und die große Weinauswahl haben Joshua von dem Lokal überzeugt. Auch wenn er nicht Koch geworden wäre, hätte er heute mit Lebensmitteln zu tun, da ist er sich sicher – in der Landwirtschaft oder im Weinbau. Auf einen Lieblingswein möchte er sich nicht festlegen, aber wenn er Rotwein trinkt, dann gerne etwas kühler: „Ich liebe gute Weine, bei denen man merkt, dass der Winzer mit Leidenschaft dabei war.“ Das ist Joshua auch wichtig, wenn er selbst essen geht: „Man erkennt schnell, ob jemand mit dem Herzen dabei ist. Auf dem Teller muss nicht alles handwerklich perfekt sein, aber man sollte spüren, ob etwas mit Liebe gekocht ist.“
„Wir haben Stammgäste, die nach jedem Besuch sagen: Heute war es noch besser. Darauf arbeiten wir hin und das hört nie auf – ob mit 27 oder 50, man muss sich vor allem in der Sternegastronomie immer verbessern.“
Und diese Liebe spürt man bei Joshua – ganz egal, ob er einen Fisch filetiert oder über eine Zucchini spricht. Die Basis von diesem Job ist für ihn, dass man Lebensmittel respektiert, ganz egal, was man vor sich hat. Genauso wichtig ist es, dass man kritikfähig ist und jeden Tag versucht, über sich hinauszuwachsen: „Wir haben Stammgäste, die nach jedem Besuch sagen: Heute war es noch besser. Das ist schön, darauf arbeiten wir hin und ich denke, das hört nie auf – ob mit 27 oder 50, man muss sich vor allem in der Sternegastronomie immer verbessern.“
Durch seinen frühen Zugang zur Branche wusste Joshua, dass der Druck groß ist. Aber er wirkt locker, kann damit umgehen. Auch mit der Rolle des Küchenchefs, in die er die letzten Jahre dank der Doppelspitze nach und nach reinwachsen durfte. „Ich fühle mich immer zurückversetzt, wenn wir einen Schülerpraktikanten bei uns haben. Es ist eine schöne Vorstellung, dass ich jetzt jungen Leuten einen Zugang zur Sternegastro bieten kann.“ Warum er den Job so gerne macht? Man bekommt jeden Tag das Feedback der Gäste, direkt oder indirekt über den Service.
„Haidhausen ist Heimat für mich, ein tolles Viertel mit wunderschönen Plätzen. Hier ist es ruhig und trotzdem lebendig – und es hat etwas von einem Dorf, trotzdem ist man mitten in der Stadt.“
Joshua Leise erhielt 2020 außerdem den „Young Chef Award“ vom Guide Michelin. Und auch hier zeigt er sich bescheiden: „Natürlich freut man sich über so eine Auszeichnung. In gewisser Weise arbeitet man darauf hin, aber nicht für sich selbst, sondern für die Gäste. Wenn wir heute Abend einen Gast mehr haben, der dadurch kommt und den wir glücklich machen können, ist das die größte Freude.“ Joshua möchte Emotionen wecken bei seinen Gästen – und so geht er auch an die Menüplanung heran: Was weckt Kindheitserinnerungen? Was lässt einen an den Urlaub denken?
Auch mit Kritik kann Joshua gut umgehen, sagt er. Er ist kein lauter Koch und das glaubt man ihm sofort, so überlegt und gelassen wie er erzählt und uns seinen Arbeitsplatz zeigt. Sein Geduldsfaden reißt nur dann, wenn jemand Unordnung in die Küche bringt. Genau das, was seine Mama früher noch an ihm auszusetzen hatte, wenn Joshua mit 16 oder 17 zuhause gekocht hat. Das macht er heute noch – an Weihnachten gibt es sein bestes Backhendl mit saisonalen Beilagen wie Feldsalat und Kartoffelsalat. Die Küche hinterlässt er mittlerweile natürlich immer sauber. Das ist eines der ersten Dinge, die man in der Ausbildung lernt, erzählt er.
Joshuas Familie wohnt in Haidhausen – aufgewachsen ist er in der Wörthstraße, bei der Wohnungssuche vor ein paar Jahren landete er dann zufälligerweise nur ein paar Straßen weiter am Pariser Platz: „Haidhausen ist Heimat für mich, ein tolles Viertel mit wunderschönen Plätzen. Hier ist es ruhig und trotzdem lebendig – und es hat etwas von einem Dorf, obwohl man mitten in der Stadt ist.“
In seinem Viertel gibt es jede Menge Gastrotipps, die Joshua uns ans Herz legen kann: „Ich bin total oft bei dem Italiener Dal Cavaliere. Die Pizza ist sehr gut, aber auch das Steak – sie haben sogar einen eigenen Fleischerei-Schrank im Lokal stehen. Sonntags gehe ich gerne zum Schweinebraten essen in die Gaststätte Zum Kloster in der Preysingstraße. Und ich kann Song's Kitchen am Rosenheimer Platz sehr empfehlen! Was ich auch schön finde: In Haidhausen gibt es viele Cafés und Bars, man kann an jeder Ecke gemütlich sitzen und einen Campari Soda trinken.“